Coworking Spaces: Mehr als nur Schreibtischwechsel
Verräumlichung in Coworking Spaces
In den letzten Jahren haben sich Coworking Spaces zu einem beliebten Arbeitsmodell entwickelt, das nicht nur Flexibilität, sondern auch Gemeinschaft bietet. Coworker:innen schätzen an diesen Orten die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten, jedoch zeigt sich auch, dass die räumliche Organisation und der persönliche Arbeitsraum eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden und die Produktivität spielen. In ihrer Masterarbeit über »Verräumlichung in Coworking Spaces – Eine praxissoziologische Beobachtungsstudie« hat Bianca Bender diese Dynamiken untersucht und spannende Erkenntnisse über Raumgestaltung, Platzierung und Nutzung von Rückzugsorten in Coworking Spaces gewonnen. Theoretisch gerahmt wird die Arbeit von der Theorie sozialer Praktiken nach Theodore Schatzki. Dieser Beitrag fasst die wesentlichen Aspekte zusammen, die insbesondere für Coworker:innen interessant sind.
1. Platzierung und Arbeitsraum
Ein zentraler Aspekt der Arbeit von Bianca ist die Art und Weise, wie Coworker ihren unmittelbaren Arbeitsraum gestalten. Die Wahl des Schreibtisches und die Anordnung der Arbeitsmaterialien sind oft wiederkehrende und routinierte Prozesse, die für die meisten Coworker von großer Bedeutung sind. Viele Coworker:innen, auch diejenigen mit einem flexiblen Desk, tendieren dazu, immer wieder den gleichen Platz aufzusuchen. Diese Gewohnheit schafft ein Gefühl von Beständigkeit und Zugehörigkeit in einer ansonsten flexiblen, losen Umgebung. Coworker „platzieren“ sich nicht nur, sie „kramen“, „ordnen“ und „verkabeln“ ihren Arbeitsplatz und verwandeln so einen zunächst anonymen Schreibtisch in ihren persönlichen Arbeitsort.
2. Dynamisierung des Arbeitsplatzes
Ein weiteres interessantes Ergebnis der Untersuchung ist die Dynamik der sogenannten Arbeitsplatz-Territorien (zum persönliche Raum als Territorium
vgl. Petendra (2015). Coworker:innen wechseln ihren Platz im Laufe des Arbeitstages oft mehrmals, abhängig von der Art der anstehenden Aufgaben. Während konzentrierte Arbeit oft am ursprünglich gewählten Schreibtisch stattfindet, bewegen sich Coworker:innen für Telefon- oder Videogespräche an andere Orte. Beliebte Rückzugsorte sind dabei Telefonboxen, Meetingräume oder unbesetzte Büros. Diese Platzwechsel erweitern den persönlichen Arbeitsraum temporär und schaffen eine flexible Nutzung von Raum, je nach den Bedürfnissen des Coworkers.
3. Knappheit an Rückzugsorten
Ein Problem, das in vielen Coworking Spaces auftritt, ist die Knappheit an geeigneten Rückzugsorten. Diese werden besonders für Telefonate oder konzentriertes Arbeiten benötigt. In den untersuchten Räumen zeigte sich, dass es oft nicht genügend separate Bereiche gibt, in denen ungestört gearbeitet werden kann. Coworker weichen daher oft auf weniger geeignete Orte wie die Küche oder den Flur aus, wenn die ausgewiesenen Rückzugsräume belegt sind. Diese Orte sind jedoch nicht optimal für fokussiertes Arbeiten, da sie auch als Orte der Kommunikation und Versorgung dienen. Die strategische Planung der Rückzugsorte, z. B. durch Reservierungen von Meetingräumen (formell) oder Telefonboxen (informell), ist eine gängige Praxis, um dieses Problem zu umgehen.
4. Flexibilität und Routine im Arbeitsalltag
Obwohl Coworking Spaces, wie das COWO21 in Darmstadt, für ihre Flexibilität bekannt sind, zeigt Biancas Studie, dass auch hier Routinen eine große Rolle spielen. Viele Coworker entwickeln im Laufe der Zeit feste Gewohnheiten bezüglich der Platzwahl und der Organisation ihres Arbeitsraumes. Diese Routinen bieten den Coworkern Stabilität und erleichtern das schnelle Einfinden in den Arbeitstag. Besonders in viel genutzten Coworking Spaces sind feste Arbeitsplätze und gut strukturierte Routinen essenziell, um effizient arbeiten zu können.
5. Der Raum als soziales Konstrukt
Ein spannender Aspekt der Verräumlichung in Coworking Spaces ist die Bedeutung von Artefakten, wie sie in der Raumtheorie von Martina Löw beschrieben werden. Gegenstände, die am Arbeitsplatz oder in den Gemeinschaftsräumen platziert werden, sind nicht nur funktional, sondern auch Teil der sozialen Konstruktion des Raumes. So kann das Fensterbrett oder ein Regal, das ursprünglich zur allgemeinen Nutzung gedacht ist, durch die Ablage persönlicher Gegenstände zu einem erweiterten Arbeits-Territorium des jeweiligen Coworkers werden. Diese Erweiterung des persönlichen Raumes ist ein typisches Phänomen in Coworking Spaces.
6. Herausforderung: Raumknappheit und informelle Reservierungsstrategien
Eine interessante Beobachtung aus Benders Studie ist die informelle Art und Weise, wie Coworker Rückzugsorte reservieren. Obwohl es in manchen Coworking Spaces keine offizielle Möglichkeit gibt, Telefonboxen oder bestimmte Räume zu reservieren, nutzen Coworker kreative Lösungen wie Post-Its, um sich ihren Platz zu sichern. Diese informellen Regeln und Praktiken verdeutlichen den flexiblen und gemeinschaftsorientierten Charakter von Coworking Spaces, in denen offizielle Regeln oft bewusst vermieden werden, um eine offene und gleichberechtigte Arbeitsumgebung zu fördern.
Fazit: Mehr als nur ein Schreibtisch
Die Ergebnisse von Bianca Benders Untersuchung verdeutlichen, dass Coworking Spaces viel mehr sind als nur Orte, an denen Menschen nebeneinander arbeiten. Die Raumgestaltung und die individuellen Platzierungsstrategien der Coworker spielen eine zentrale Rolle im Arbeitsalltag und beeinflussen nicht nur die Produktivität, sondern auch das soziale Miteinander. Die Herausforderungen, die durch die Knappheit an Rückzugsorten entstehen, zeigen, dass es wichtig ist, diese Räume flexibel und kreativ zu nutzen. Coworking Spaces bieten somit nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch eine Plattform für soziale Interaktion und das gemeinsame Aushandeln von Raum.
(Beitragsfoto: StockSnap auf Pixabay)
➡️ Zur Masterarbeit »Verräumlichung in Coworking Spaces« von Bianca Bender: https://ub-deposit.fernuni-hagen.de/receive/mir_mods_00001881